380-kV-Trasse macht
die Leute krank
Mit ihrem Ostermarsch protestieren Hunderte gegen die geplante Hochspannungsleitung
im Thüringer Wald
Von Marco Schreiber
Nahetal-Waldau - Seit
den Wendetagen 1989 ist Frank Ratajczak nicht mehr auf die Straße
gegangen. Gestern demonstriert der Berufsrichter
aus dem Ilmkreisstädtchen Gehren wieder. Für einen heilen Thüringer
Wald marschiert er von Waldau (Kreis Hildburghausen) drei Kilometer bergan.
Gegen eine Hochspannungsleitung, die 380-kV-Trasse. Ein
weiterer Demonstrationszug setzt sich zeitgleich in Hinternah in Bewegung.
Etwa 600 Menschen versammeln sich am Nachmittag schließlich auf einem
Hügel zwischen den Orten zur Abschlusskundgebung des dritten Ostermarsches
der Trassengegener. Setzen sich auf Holzbänke und ins Gras, essen Kuchen
und Bratwurst, trinken Limo und Bier - "durch das schöne Wetter
herrscht eine gute Grundstimmung", sagt Tilo Kummer, Landtagsabgeordneter
der Linken und einer der prominenten Unterstützer der Trassengegner.
Die Volksfeststimmung
mit Ostereiersuche für die Kinder täuscht ein wenig über
die tatsächliche Situation hinweg. Teile der Trasse werden schon
gebaut; die betroffenen Hochstedter sind mit einem Transparent dabei.
In jenem Stadtteil der Landeshauptstadt Erfurt beginnt die 380-Kilovolt-Leitung,
die mit ihren turmhohen Masten bis nach Schweinfurt führen soll.
"Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Richter Ratajczak. Deshalb
sei er mitmarschiert. Für den Abschnitt im Ilmkreis, der an seinem
Heimatort vorbeiführen soll, hat kürzlich das Genehmigungsverfahren
begonnen. Für den Abschnitt, in dem Waldau liegt, wird es bald soweit
sein.
Ein Verfahren, von
dem der Linke Kummer fürchtet, es könne "in aller Schnelle
durchgepeitscht" werden. Ein Verfahren, hinter dem letztlich die
globalen Interessen der Energiekonzerne stünden, sagt seine Parteigenossin
Gabi Zimmer, bevor sie auf die improvisierte Bühne steigt. "Vattenfall
denkt wie alle Konzerne in Kategorien von globalen Märkten",
ruft die Abgeordnete des Europaparlaments vom Lkw-Anhänger über
die Wiese.
Mit 100 Millionen
Euro will die Europäische Kommission die 248-Millionen-Euro-Trasse
subventionieren - am EU-Parlament vorbei, sagt Zimmer erzürnt. Und
das, obwohl die Energiepolitik der EU noch debattiert werden müsse.
Die Lobbyisten der Energiekonzerne und des freien Marktes wollen mit Strom
handeln und daraus Gewinne erzielen, erklärt sie. "Diese Lobbygruppe
beeinflusst die Kommission." Ihr gegenüber stünden der
Umweltausschuss des EU-Parlaments, die Grünen, die Linken und Teile
der Sozialdemokraten. "Eine Minderheit". Der noch dazu bis nach
der Europawahl die Hände gebunden seien - "Anfragen an die Kommission
können erst wieder im September gestartet werden". Viel Hoffnung,
die Trasse von Brüssel aus noch zu stoppen, gibt es laut Zimmer also
nicht. Ändern werde sich die Energiepolitik nur dann, wenn der Druck
aus den Ländern groß genug sei.
Für diese andere
Energiepolitik treten die Grünen ein, sagt Dirk Adams, Erfurter Stadtrat
und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl. Regionale Energieerzeugung wolle
man stärken und die vorhandenen Leitungen modernisieren. "Keine
380-kV-Leitung, nirgendwo", das sei die klare Forderung. In Hochstedt
könne man die Folgen schon besichtigen. Ein Spinnennetz aus Leitungen
umspanne den Ort. "Es summt, surrt und pfeift den ganzen Tag, das
macht die Leute krank", sagt Adams. Er lehnt auch die Erdkabel-Variante
ab und schließt sich der Forderung nach überwachten Hochtemperaturleitungen
an, um auf vorhandenen Trassen mehr Strom zu transportieren.
Der Richter aus Gehren
könnte sich ein Erdkabel als Alternative vorstellen. "Ich bin
für eine Prüfung der Variante", sagt Ratajczak. Er hoffe
auf ein Umdenken nach der Landtagswahl.
|