Freies Wort vom 14.04.2009
 

380-kV-Trasse macht die Leute krank
Mit ihrem Ostermarsch protestieren Hunderte gegen die geplante Hochspannungsleitung im Thüringer Wald

Von Marco Schreiber

Nahetal-Waldau - Seit den Wendetagen 1989 ist Frank Ratajczak nicht mehr auf die Straße gegangen. Gestern demonstriert der Berufsrichter aus dem Ilmkreisstädtchen Gehren wieder. Für einen heilen Thüringer Wald marschiert er von Waldau (Kreis Hildburghausen) drei Kilometer bergan. Gegen eine Hochspannungsleitung, die 380-kV-Trasse. Ein weiterer Demonstrationszug setzt sich zeitgleich in Hinternah in Bewegung. Etwa 600 Menschen versammeln sich am Nachmittag schließlich auf einem Hügel zwischen den Orten zur Abschlusskundgebung des dritten Ostermarsches der Trassengegener. Setzen sich auf Holzbänke und ins Gras, essen Kuchen und Bratwurst, trinken Limo und Bier - "durch das schöne Wetter herrscht eine gute Grundstimmung", sagt Tilo Kummer, Landtagsabgeordneter der Linken und einer der prominenten Unterstützer der Trassengegner.

Die Volksfeststimmung mit Ostereiersuche für die Kinder täuscht ein wenig über die tatsächliche Situation hinweg. Teile der Trasse werden schon gebaut; die betroffenen Hochstedter sind mit einem Transparent dabei. In jenem Stadtteil der Landeshauptstadt Erfurt beginnt die 380-Kilovolt-Leitung, die mit ihren turmhohen Masten bis nach Schweinfurt führen soll. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Richter Ratajczak. Deshalb sei er mitmarschiert. Für den Abschnitt im Ilmkreis, der an seinem Heimatort vorbeiführen soll, hat kürzlich das Genehmigungsverfahren begonnen. Für den Abschnitt, in dem Waldau liegt, wird es bald soweit sein.

Ein Verfahren, von dem der Linke Kummer fürchtet, es könne "in aller Schnelle durchgepeitscht" werden. Ein Verfahren, hinter dem letztlich die globalen Interessen der Energiekonzerne stünden, sagt seine Parteigenossin Gabi Zimmer, bevor sie auf die improvisierte Bühne steigt. "Vattenfall denkt wie alle Konzerne in Kategorien von globalen Märkten", ruft die Abgeordnete des Europaparlaments vom Lkw-Anhänger über die Wiese.

Mit 100 Millionen Euro will die Europäische Kommission die 248-Millionen-Euro-Trasse subventionieren - am EU-Parlament vorbei, sagt Zimmer erzürnt. Und das, obwohl die Energiepolitik der EU noch debattiert werden müsse. Die Lobbyisten der Energiekonzerne und des freien Marktes wollen mit Strom handeln und daraus Gewinne erzielen, erklärt sie. "Diese Lobbygruppe beeinflusst die Kommission." Ihr gegenüber stünden der Umweltausschuss des EU-Parlaments, die Grünen, die Linken und Teile der Sozialdemokraten. "Eine Minderheit". Der noch dazu bis nach der Europawahl die Hände gebunden seien - "Anfragen an die Kommission können erst wieder im September gestartet werden". Viel Hoffnung, die Trasse von Brüssel aus noch zu stoppen, gibt es laut Zimmer also nicht. Ändern werde sich die Energiepolitik nur dann, wenn der Druck aus den Ländern groß genug sei.

Für diese andere Energiepolitik treten die Grünen ein, sagt Dirk Adams, Erfurter Stadtrat und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl. Regionale Energieerzeugung wolle man stärken und die vorhandenen Leitungen modernisieren. "Keine 380-kV-Leitung, nirgendwo", das sei die klare Forderung. In Hochstedt könne man die Folgen schon besichtigen. Ein Spinnennetz aus Leitungen umspanne den Ort. "Es summt, surrt und pfeift den ganzen Tag, das macht die Leute krank", sagt Adams. Er lehnt auch die Erdkabel-Variante ab und schließt sich der Forderung nach überwachten Hochtemperaturleitungen an, um auf vorhandenen Trassen mehr Strom zu transportieren.

Der Richter aus Gehren könnte sich ein Erdkabel als Alternative vorstellen. "Ich bin für eine Prüfung der Variante", sagt Ratajczak. Er hoffe auf ein Umdenken nach der Landtagswahl.

 
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Letzte Aktualisierung: 14.04.2009