Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 24.10.2012 - Netzausgabe

 
4500 Jahre altes Grab in Hochstedt entdeckt
Norbert Eichelmann und Enrico Paust (rechts) sind überglücklich: Seit sechs Tagen stehen die 600 Kilogramm Erde im Weimarer Museum. Fotos: Esther Goldberg
 

Ein junger Archäologe entdeckt wahrscheinlich ein reich ausgestattetes Grab einer etwa 4500 Jahre alten Frau in Hochstedt. Das Grab wurde bei Bauarbeiten entdeckt.


Hochstedt. Enrico Paust starrt auf den gelben Lehmboden und misstraut seinen Augen. Da, vor ihm, ist auf dem Boden ein dunkles Rechteck zu erkennen. Ein Grab? Der Archäologe kniet hin, nimmt eine Art Harke in die Hand und beginnt zu kratzen. Millimeterweise. Und tatsächlich: Vor ihm sind die Umrisse eines Grabes zu sehen.

Der Archäologe vom Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie war Mitte dieses Monats von der Baufirma "50 Hertz" angerufen worden. Das passiert seit August ständig und ist nichts Besonderes. Baufirma und Denkmalamt haben es vereinbart, bevor die Arbeiten für die 380-KV-Trasse begannen.

Und nun das: Tatsächlich findet der 26-jährige Archäologe mitten auf einem Bauweg Umrisse eines uralten Grabes. Dabei hatte er sich längst gegen Enttäuschungen gewappnet. Archäologen müssen nämlich vor allem eines sein: endlos geduldig. "Das bin ich", schätzt sich Enrico Paust ein. Und er wirkt tatsächlich so, dass man ihm das glauben kann.

Doch diesmal muss das mit der Geduld doch nicht sein, so scheint es. Millimeterweise kratzt er über das Stück dunkleren Bodens. Mit dem ersten Freilegen des Skeletts findet Enrico Paust tatsächlich Hundezähne und Muschelscheiben. Auch Teile des Schädels und der Beinknochen werden sichtbar. Der Mann ist begeistert.

So sehr es den jungen Archäologen nun drängt, vorsichtig weiter nach diesem Schatz zu graben, hält er inne. Er wird doch nicht gefährden, was möglicherweise bald als Sensation im Weimarer Museum für Ur- und Frühgeschichte zu sehen sein wird.

 

Er erkennt, dass dieses Grab um die 4.500 Jahre alt sein muss und ruft seine Kollegen vom Thüringer Landesamt an. Norbert Eichelmann und Jörg Hägele, die beiden Restauratoren, können es ebenfalls kaum glauben. Vor ihnen ist deutlich der erste Fund dieser Art zwischen Erfurt und Weimar in Hochstedt zu sehen. Lediglich zwei andere Funde in Nordhausen Bielen (2011) und in Leubingen (2009) gab es bislang aus der Zeit zwischen 2800 und 2200 vor Christus. "Ich hoffe, das jetzt entdeckte Grab ist ebenso reich ausgestattet wie das Grab bei Nordhausen", ist auch Norbert Eichelmann hin- und hergerissen. Noch aber weiß er nicht genau, was sein wird.

Beerdigt wurde die Frau mit angezogenen Beinen. Foto: Esther Goldberg
Ohne Eile mit viel Neugier

Die Fachleute müssen nun beweisen, dass sie es trotz aller Neugier nicht zu eilig haben. "Hätten wir draußen im Feld die Grabstelle freigelegt, wäre manches kaputt gegangen", ist Enrico Paust überzeugt. Die Muschelscheiben beispielsweise sind extrem porös, gleiches gilt für die durchlochten Hundezähne, die ganz offensichtlich als Kette für die Schmuckbeigabe oder aber als Mantelbesatz verwandt wurden. Niemand kann exakt sagen, wieviel Skelett und Grabbeigaben in dem 1,50 Meter mal 1,10 Meter und 30 Zentimeter großen Rechteck noch erhalten sind.

"In solchen Fällen sichern wir das Grab und bergen es als Block", erklärt Norbert Eichelmann Prozedere. Auskoffern, sagen die Fachleute dazu. Die Scholle wird sozusagen im ganzen geborgen. Also heißt es Holz zurechtzimmern, einen Bagger bei der Baufirma chartern, eine Kiste bauen, zentimeterweise das Grab einschließlich der Erde freilegen und die Erde an den Rändern mit Bauschaum zu sichern. Dazu gehört einiges Geschick, doch es gelingt. Seit exakt sechs Tagen steht nun der Anhänger mit 600 Kilo Erde und wertvollen Überresten aus der späten Jungsteinzeit hinter dem Museum für Ur- und Frühgeschichte.

Schätzungsweise zwei Monate wird es dauern, bis die Fachleute alle Schätze aus diesen 600 Kilo Erde geborgen haben werden. Alle Teile zusammen zu setzen und zuzuordnen und das alles auch noch zu dokumentieren, dauert sogar mindestens ein Jahr.

Dass es sich um das Grab einer höhergestellten Frau handelt, steht allerdings schon fest: Solche Gräber gab es nur für Frauen, hochgestellte Frauen. "Dieser Fund ist für uns tatsächlich eine Sensation", ist Norbert Eichelmann beeindruckt.

Wie gut der Schädel der 4.500 Jahre alten Frau noch erhalten ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Foto: Esther Goldberg
Und doch hoffen die Experten auf weitere Funde und haben mit der Hertz-Baufirma auch einen Partner, der die Auflagen der Denkmalschützer ernst nimmt. Wo Lößboden ist, gab es Siedlungen und also vielleicht auch weitere Gräber. "Andererseits wurde das Gebiet rund um Hochstedt landwirtschaftlich genutzt. Wir können nur hoffen", sagt Norbert Eichelmann.

Und Enrico Paust wird nach jedem Anruf von der Baustelle nun mit ein wenig mehr Aufregung als bisher nach Hochstedt fahren . . .

Esther Goldberg / 24.10.12 / TA

Letzte Aktualisierung: 24.10.2012