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Platz ohne Namen - Tagebuch 2005

 

 

 Ja, das bin ich, der Platz der keinen Namen mehr hat, im Frühjahr 2005. Eigentlich bin ich ja zweigeteilt. Der eine Teil bildet ein Dreieck. Ein Denkmal, drei Linden, ein Brunnen, ein Hochbeet und eine Bank stehen hier. Den anderen Teil, der rechteckig ist, umschließt eine Ligusterhecke. Ansonsten findet sich hier nur noch eine weitere Bank, einige Rosen, Sträucher und eine junge Linde. Beide Teile sind durch eine Straße voneinander getrennt. Eigentlich geht es mir ganz gut, ich habe meine Ruhe und die genieße ich. Ich hätte zwar gerne wieder einen Namen aber es geht auch ohne.

 

Die ganze Aufregung fängt im Frühjahr damit an, dass eine meiner alten Linden angebohrt und anschließend mit einem roten Punkt markiert wird. Kein gutes Zeichen, denke ich und mache mich schon insgeheim darauf gefasst, dass etwas geschehen wird.

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Richtig, ich muss nicht lange warten. Am 16. August gehen sie meiner östlichen, alten Linde an die Äste. Gut, sie ist nicht mehr die Jüngste und innen schon morsch, aber augerechnet heute? Und der Dreck, den das Ganze macht, ganz zu schweigen von der Lautstärke, die die Sägen erzeugen!. Na, hoffentlich machen die das auch wieder sauber! Jedenfalls ist an Ruhe heute nicht zu denken.

 


























 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So, eine Linde weniger! Zum Glück dauert die Aktion nur einen Tag. Ich denke, dass damit nun endlich wieder Ruhe einkehrt. Sicher werde ich einige Wochen brauchen um mich an die kahle Stelle zu gewöhnen und um mich von der Aufregung zu regenerieren.

Aber nichts da, jetzt geht es erst richtig los, wie ich mit Schrecken feststelle. Nur acht Tage später, ...

... am 24. August, fangen die Vandalen an, mir meine Ligusterhecke wegzunehmen. Aber nicht nur die Hecke, sie buddeln mir jede Rose und jeden Strauch heraus. Ich bin froh, dass das die alte Linde nicht mehr erleben muss. Sogar der Rasen wird zertrampelt und meine Granit-Einfassung herausgerissen. Nur die junge Linde steht noch an ihrem Platz. Ich frage mich, was das Ganze soll und wünsche mir einfach nur Ruhe, Ruhe, Ruhe ...
 
Gerade war ich noch froh, dass nur mein rechteckiger Abschnitt misshandelt wird, legen doch die Arbeiter ihr Werkzeug nun auch noch auf den anderen Teil! Langsam reicht's mir ...
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Na bitte, weitere 2 Tage später, am 26. August, bin ich nackig - dass habt ihr also gewollt?

 

Wie sieht denn dass jetzt aus? Na, mir kann's egal sein, Hauptsache ich habe meine Ruhe! Zum Glück rücken die Arbeiter auch ab. Phu, meine Nerven liegen blank ...

 


 

Am 30 August rückt schweres Gerät an und ich ahne, dass ich heute wieder keine Ruhe finden werde. Es wird gemessen und gewerkelt und scheinbar geht es mir jetzt an den dreieckigen Platzabschnitt. Ich hoffe es ist schnell vorüber und beginne deshalb langsam bis hundert zu zählen ....
 
 
 
... leider ohne Erfolg. Ich komme nie über die Zwanzig hinaus, da ich mich andauernd verzähle - der Krach! Statt dessen muss ich miterleben, wie mein Geländer abmontiert und auch die Bordsteinkante herausgerissen wird. Schlimmer kann es ja nun nicht mehr werden ...
 
 
 
... denke ich gerade, als auch schon das Gegenteil eintritt und das Denkmal abgebaut wird. Gleichzeitig wird die Wurzel der alten Linde herausgezogen. Das ist mir einfach alles zu laut!
 

 

Am 7. September sucht man dann vergeblich nach Spuren vom Denkmal oder von der alten Linde. Nichts deutet darauf hin, dass sie je existierten. Auch neue Beetkanten liegen jetzt um mich herum.

Auf der anderen Seite, im rechteckigen Abschnitt wird wieder gearbeitet ...

 
... und neue Pflastersteine verlegt. Natürlich ist dabei an Ruhe kaum zu denken und ich sehne mich nach dem Winter, wo es bestimmt besser wird - meine Nerven!
Inzwischen schreiben wir den 18. Oktober und neuer Rasen ist auf dem Platz gewachsen.
 
 
 
 
Ich fühle mich nicht mehr entblößt, als das Denkmal wieder aufgestellt wird. Diesmal kommt es auf den rechteckigen Abschnitt. Die Aktion macht auch nicht so viel Krach.
 
 

Auf dem dreieckigen Teil von mir hat sich auch noch etwas getan: Die Pumpe der Brunnens bekam, nachdem eine neue Granit-Abdeckung auf den Brunnenschacht gelegt worden war, einen neuen Anstrich und wurde gedreht. Jetzt blickt man beim Pumpen nicht mehr nach Westen, sondern nach Süden.

 


 

Am 20 Oktober buddelt man schließlich wieder Löcher und pflanzt einen Baum, Sträucher und Blumen. Sogar Narzissen, oder wie die Dinger heißen, ruhen bis zum Frühjahr in meinem Boden.

 

 

Na, ich bin mal gespannt, ob ich jetzt meine Ruhe habe.

 

 

 

 

 

 

...Hab ich mir's doch gedacht! Heute, am 9. November, rumpelt's schon wieder! Gerade dachte ich noch, wie schön ruhig es ist, kommt doch so ein LKW und bewirft mich mit Felsen! Zugegeben, seit die alte Linde nicht mehr ist und man auch das Geländer abmontiert hat, bin ich mehrmals Opfer von Fahrzeugreifen geworden. Auch keine schöne Erfahrung.

 ...Meine Güte! Auch das noch! Am Tag der Narren wird's närrisch und ich wahrscheinlich auch. Also der 11.11. fängt so richtig ruhig an bis mal wieder - na was schon? - Baufahrzeuge anrücken. Dann werden zwei Bänke abgeladen und auf beide Platzteile montiert! Muss das sein? Ich ahne, dass es jetzt mit meiner Ruhe für immer vorbei sein wird. Wenn ich könnte, würde ich mich in die Wüste schicken!

18.11.2005 - Der Tag fängt gut an. Kalt, aber gut. Sogar die Sonne scheint. Ich bemerke, wie um und auf mir herumgewerkelt wird. Laub wird zusammengefegt und abtransportiert. Es fühlt sich immer wunderbar an, wenn man gekehrt wird. Laubrechen sind dabei mit ihren Metallzinken besonders toll. Wäre ich eine Katze würde ich bestimmt schnurren oder als Mensch Gänsehaut kriegen. Aber ich bin ja nur der Platz ohne Namen und wie sähe das aus, wenn ich kleine Erdhügel kriegen würde und dabei ein Brummen von mir geben würde?

 

Nein, ich beschränke mich darauf, das Gefühl zu genießen. Auch die wunderbare Ruhe.

 

 

 

 

...Denkste! Am Nachmittag ist's vorbei, erst fängt es an zu schneien und dann trampeln ungeahnte Menschenmassen auf mir herum. Was dass nur wieder soll?

Trompetentöne erschallen und eine Ansprache wird gehalten. Anschließend spricht der Pfarrer. Mir wird ganz ehrfurchtsvoll und feierlich. Dann ertönt wieder die Trompete, ...

 

 

 

... Blumen werden auf mir nieder gelegt und ich begreife langsam, dass ein großer, großer Moment in meinem Dasein angebrochen ist.

 

 

 

Es ist doch tatsächlich gerade geschehen, dass Teile von mir geweiht worden sind!

Bin ich jetzt heilig?

 

 

 

 

Na, Hauptsache die da drüben im Bürgerhaus haben Sekt, um auf meine Weihe anzustoßen. Ich kann mich ja mit meinem Brunnenwasser begnügen.

 

Typisch!

 

 

 

 

 

 

 

 

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