80-kV-Trasse
Konstruktiv-streitbares Klima beim "Energie-Gipfel"

Alle Thüringer Landtagsfraktionen auf Masserbergs Theaterbühne
Von Klaus-Ulrich Hubert

Masserberg/Großbreitenbach - Diese kleine Hinterlist, filmisch festgehaltene Aussagen zur Vattenfall-Höchstspannungstrasse von Thüringer Landtagskandidaten wie sie vor der Wahl beim Behringer Bürger-Wahlforum getroffen wurden, verkniffen sich die Bürgerinitiativen um die IG "Achtung Hochspannung" am Mittwochabend dann doch.

Trotz technisch geeigneter Kulisse im fast "ausverkauften" Kino- und Theatersaal des Masserberger Badehauses erinnerte der Sprecher der vereinten Bürgerinitiativen gegen das umstrittene Trassen-Monster, Siegfried Kriese, zu Beginn eines erneuten Forums dennoch: "Damals klang das von allen so, als wenn niemand den Trassenneubau so recht brauche." Noch nie vertreten waren indes FDP-Vertreter. Mit dem Landtagsabgeordneten Thomas L. Kemmerich wurde das am Mittwochabend nachgeholt.
Und das so gründlich, dass namentlich die Sitznachbarn im Podium, Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow und dessen Bündnis-Grüne Amtskollegin Anja Siegesmund mit skeptischen Blicken aufhorchten. Kemmerich: "Da muss ich Herrn Ramelow ausnahmsweise mal Recht geben: Die bösen Buben sind die Strommonopole. Ihre Trassenpläne und das Energieleitungsbau-Beschleunigungsgesetz EnLAG riechen verdammt nach Durchsetzung monopolistischer Strukturen. Die Trassennotwendigkeit ist nicht nachgewiesen, aber ich befürchte, nun ist es zu deren Verhinderung zu spät."
"Wenn alle Macht vom Volke ausgeht... diese zurückholen"
Krieses und Ramelows Schmunzeln, dass "nun ja scheinbar die FDP auch Partner der Bürgerinitiativen" sei, bekam gegen Ende der thematisch gut gegliederten, von Kriese moderierten Podiumsrunde zur Trassennotwendigkeit, Energiepolitik und deren Zukunfts-Alternativen sowie zur Verfassungs-Bedenklichkeit des EnLAG sogar noch zusätzliche Nahrung: Kemmerich sprach von der FDP als "Bürgerrechtspartei" und pointierte: "Wenn alle Macht vom Volke ausgeht und sich dabei zu weit von ihm entfernt, muss sie gelegentlich mal wieder zurück geholt werden ..."
Er reagierte damit auf die von Kommunen und BIs sowie bislang von der Linken und den Bündnisgrünen geforderten Überprüfung des EnLAG auf seine Verfassungskonformität. Und dessen angestrebte Ablehnung im Bundesrat, zu der es seitens Linke und Bündnisgrünen jetzt im Landtag den Antrag geben wird, die neue Landesregierung zum klaren Nein zu beauftragen. Sieht man doch im EnLAG ein "Ermächtigungsgesetz" für die Stromkonzerne, um ihre Markt- und Preisbeherrschung mit Technologien von vorgestern in Stromnetzen von morgen fest zu zurren.
Bürgerferne
"Obrigkeitsentscheidung"
Und das auf dem Wege der Beschneidung bisheriger Drei-Rechtswege-Möglichkeiten auf künftig nur noch eine juristische Instanz. Bürgerinitiativen sehen sich entmündigt. Und betroffene Kommunen sehen sich so in ihrer Planungshoheit stark beschnittenen. Sowie einen weiteren Schritt hin zu einsamen, bürgerfernen "Obrigkeitsentscheidungen". Das ging SPD-Fraktionschef Uwe Höhn zu sehr an die demokratische Legitimation des gesetzgebenden Bundestages, auf den er nichts kommen ließ. Doch Sven Gregor, der seitens der Bürgerinitiativen ebenfalls im Podium saß: "Wir wollten demokratisch Einfluss nehmen auf die EnLAG-Debatte, aber da waren nur Konzernvertreter dabei. Und was es noch nie gab: Das Gesetz soll laut Paragraf 218 sogar rückwirkend gelten." Er setze darauf, dass das Gesetz so vor dem Verfassungsgericht null und nichtig werde, wenn die Kommunen den großen Schritt eines Normenkontrollverfahrens in Karlsruhe gehen.
Höhns Abwehr setzte Gregor als Bürgermeister von Bockstadt (Kreis Sonneberg) noch eins drauf: "Zweifel am Bundesparlament, für die es beredte Beispiele gibt, sollten doch wohl erlaubt sein oder? Wenn unser Kommunalparlament besten Gewissens Beschlüsse fasste, die dann von der Kommunalaufsicht wieder weg gefangen wurden, ist das ähnlich." Dem pflichtete Ramelow bei: "Wir haben größte Verfassungsbedenken. Ist der Netzausbau der Großkonzerne gegenüber den auch in Thüringen immer erfolgreicheren Alternativen dezentraler Netzwerke von Kommunen, Stadtwerken und bürgernahen Energiegenossenschaften so wichtig, dass dafür das hohe Rechtsgut der Bürger ausgehebelt werden soll?"
"Mehr Geld für Lobby als für Forschung"
Aus dem Publikum kamen Fragen zur "Gehaltsliste von Vattenfall" außerhalb des Konzerns ... Einer der fränkischen Teilnehmer verwies darauf, dass "selbst bei uns in Bayern CSU- und SPD-Politiker das EnLAG für nicht verfassungskonform halten". Außerdem sei "bekannt, dass die deutsche Wirtschaft mehr Geld für ihre Lobby-Pflege als für die Forschung" ausgebe.
"Herr Höhn, Sie drehen sich im Kreis, ohne schwindelig zu werden", attestierte Peer Schulze (Mitstreiter der IG "Achtung Hochspannung") bei der Diskussion des Publikums dem SPD-Fraktionschef. Auf die konkrete Abfrage aller Podiums-Politiker, ob sie demnächst im Landtag für den von der Linken im November eingereichten Antrag zum Normenkontroll-Auftrag des Landes gegenüber dem Bundesverfassungsgericht unterstützten, dann dies: Höhn sprach von "überflüssig" und erntete von den meisten der rund 200 Teilnehmer Pfui-Rufe ...
"Das scharfe Schwert der Verfassungsbeschwerde"
Ramelows Fraktionskollegin und energiepolitische Sprecherin der Linken, Petra Enders, die Mittwochabend als Bürgermeisterin auch den Großbreitenbacher Stadtrat zum Stand der Dinge und über das Podiumsgespräch informierte, blieb zwei Stunden ruhig im Publikum sitzen. Zuvor am Rande des Podiums von mehreren Radiosendern befragt, meldete sie sich erst gegen Ende zu Wort: "Ich freue mich auf eine interessante Diskussion im Landtag, bin gespannt auf CDU, SPD und FDP dabei. Ich versichere, wir gehen bis zum Letzten, nutzen nötigenfalls das scharfe Schwert der Verfassungsbeschwerde. Denn so einfach mal die bislang nie in Verfahren geprüfte, nun aber per Gesetz festgeschriebene 'Notwendigkeit' von 24 Trassenprojekten durchzupeitschen, das ist mehr als verfassungsbedenklich. Vor allem aber die Möglichkeit, dies rückwirkend zu laufenden Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren zu machen!"
"Frühere Sensibilität der CDU gewünscht"
Langer, lauter Beifall und "Jawoll!"-Rufe ... Zuvor hatte der aus der ebenfalls trassenbetroffenen Region um Sonneberg und Hildburghausen stammende CDU-Politiker Henry Worm zwar mögliche Unterstützung für die geforderte Anhörung der beiden Trassennotwendigkeits-Gutachter signalisiert. Und bestätigt, dass seine bisherige CDU-Landesregierung "früher Sensibilität für das Thema Trasse hätte entwickeln können". Doch zur weiteren zentralen Forderung des Abends, die Anhörung zu den rund 1000 Einwendungen im Rahmen des Planfeststellungsverfahren nicht einzeln "im Dunkeln und Privaten", sondern öffentlich durchzuführen, meinte er: "Reine Verwaltungsangelegenheit!"
Das Forum kritisierte mehrfach die Abwesenheit aller eingeladenen Landräte, während SPD-Fraktionschef Höhn beteuerte: "Der SPD-Wirtschaftsminister wäre einer Einladung gern gefolgt."
 
Â