Beitrag in der südthüringer Zeitung Freies Wort vom 26.04.2011 - Online-Ausgabe

Mehr als 500 Menschen nahmen gestern am Ostermarsch gegen die 380-kV-Leitung auf die Schaumburg bei Schalkau teil. Mitglieder von Bürgerinitiativen fordern die Prüfung von technischen Alternativen zur Trasse.

Die Teilnehmer des Sternmarsches hatten erst einen nicht gerade kleinen Anstieg zur Schaumburg zu bewältigen.
 
Bilder: Freies Wort

Schalkau - "Völlig klar, die Titanic ist nicht gesunken, und wir brauchen eine 380-kV-Trasse!" Wer gestern in den Hof der Domäne Schaumburg bei Schalkau kam, der musste nicht lange suchen, um derlei ironische oder freche Sätze auf meist selbst gemalten Transparenten zu entdecken. Länger dauerte da schon die Suche nach einem Sitzplatz, denn nach der mehr als einstündigen Tour des Marsches waren die meisten Plätze schon belegt, als die letzten das Ziel erreicht hatten.

"Wie sich das anfühlt"

Es war bereits der fünfte Ostermarsch gegen die 380-kV-Leitung, zu der die in der IG "Vorsicht Hochspannung!" zusammen geschlossenen Initiativen aufgerufen hatten. Das erste Mal war Schalkau Ziel des Marsches, und für die Akteure in der Region war genau dieser Marsch nicht ohne Brisanz. Nach dem Abschluss des Raumordnungsverfahrens für das Teilstück der Trasse zwischen Altenfeld und der Landesgrenze zu Bayern steht fest, dass der Leitungskorridor über den Bleßberg und durch das Schaumberger Land führen wird. Nur wenige hundert Meter von der Domäne entfernt soll einmal die Trasse verlaufen. "Von hier aus haben wir einen phantastischen Ausblick darauf, wie es sich einmal anfühlt, wenn durch unsere Heimat diese Trasse führt", sagte Margit Heinz, die Sprecherin der BI Schalkau und gestern auch Gastgeberin, denn ihre Familie bewirtschaftet die Domäne Schaumburg.

Es kamen an diesem Tag viele auf den Berg über Schalkau. "Roth - 1338 bis 2012" stand auf einem handgemalten Schild, das Ute Hopf mitgebracht hatte. Die Heimat von Hopf liegt vis à vis zur Domäne im kleinen Dorf Roth. Die erste Zahl auf dem Plakat ist das Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung, die zweite war mit einem Kreuz wie bei Todesanzeigen versehen. "Bei uns wird ja noch eine zweite Leitung dazukommen", erklärte Ortssprecherin Hopf. In Roth soll nämlich zusätzlich zur 380-kV-Trasse nämlich noch ein Umspannwerk für die ICE-Trasse entstehen. Am Aufgang zur Domäne empfing die Ostermarschierer ein breites Transparent: "Stromtrasse und ICE tun den Bauern weh." Nicht nur, aber gerade auch den Flächenverlust fürchten die Landwirte, bemerkte Hans-Jürgen Scheler von der Agrargenossenschaft Schalkau.

"Ich bin richtig stolz, dass so viele heute auf die Schaumburg gekommen sind", sagte Schalkaus Bürgermeister Reinhard Zehner (CDU). Widerstand lohne sich und man werde weiterkämpfen, kündigte der Kommunalpolitiker an. Kämpferisch gaben sich an diesem Tag vor allem Mitglieder von Bürgerinitiativen.

Indessen, so Margit Heinz, man verstehe sich keineswegs, wie sehr oft in den Medien dargestellt, nicht als fundamentale Verhinderer. Vielmehr gehe es um Alternativen. Sie wisse nicht, ob in riesigen Masten der Fortschritt bestehe. "Innovation sieht anders aus", bemerkte Heinz.

Mit solchen Alternativen hatte sich Anette Martin von der BI "Pro Heimat" aus Ebersdorf bei Coburg beschäftigt. "Dass bei uns die Lichter ausgehen, wenn diese Leitung nicht gebaut wird, stimmt einfach nicht", sagte sie und listete zugleich auf, worin Alternativen bestünden: in Hochspannungsgleichstromleitungen, in modernen Speichermedien und einer völlig anderen, dezentralen Struktur der Stromversorgung. Aber auch das Argument, dass nach dem Abschalten von Atomkraftwerken und dem Ausbau von regenerativen Energien die Leitungen nicht reichen würden, ließ Martin nicht gelten. "Durch das Abschalten von den Atomkraftwerken werden doch Leitungskapazitäten frei", bemerkte sie und erhielt Beifall im Hof.

Alternativen bekannt

Unterstützung erhielt Martin von Josef Lutz. Der Physiker lehrt an der TU Chemnitz und ist Mitglied in der offenen Akademie kritischer Wissenschaftler. Längst gebe es ein europaweites Leitungssystem, über das regenerative Energien unterschiedlicher Herkunft eingespeist werden könne. So plane Norwegen bereits seit Jahren den Export seiner aus Wasserkraft gewonnenen Energie nach Deutschland. Zu realisieren sei dies über Gleichstromleitungen, die ohne weiteren Landschaftsverbrauch auskämen. Und an solchen Leitungen in China und in Südeuropa seien auch deutsche Firmen beteiligt. "Warum sollen wir die Landschaft beeinträchtigen, wenn es auch anders geht?", fragte Lutz. ts

"Wer soll denn da noch an Alternativlosigkeit glauben", bemerkte Madeleine Henfling. Die Landessprecherin von Bündnis90/Grüne mahnte mehr Bürgerbeteiligung an. Genau diese aber würden durch die Bundesregierung mit dem von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) angeregten Beschleunigungsgesetz für den Ausbau des Leitungsnetzes untergraben.

Dem schloss sich auch Landtagsmitglied Petra Enders (Linke) an. Die Politikerin griff aber auch Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und deren Vorschlag, eine Strommaut im "Stromtransitland" Thüringen einzuführen, an. "Kein Geld der Welt kann die Schäden, die mit dieser Leitung angerichtet werden, wieder gut machen", sagte Enders. Vielmehr solle die Politik die Forderung der Bürgerinitiativen nach der Prüfung von Alternativen, ernst nehmen. "Ich glaube an den Erfolg. Wir können diese Trasse verhindern und auch den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen", bemerkte Enders.