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Am 2. Juni 2012 machten wir uns wieder einmal auf den Weg, um den Verbleib unserer Waidballen zu „überprüfen“. Im Frühjahr 2011 hatten wir eine Anfrage aus Görlitz erhalten, wo eine Stadtführerin bei ihren Rundgängen Waidballen präsentieren wollte. Die östlichste Stadt Deutschlands, in Sachsen gelegen, befindet sich direkt an der Neiße und war im Mittelalter ein besonderer Umschlagplatz für allerlei Waren. Dies kam nicht von ungefähr, verlief doch hier, mitten durch die Stadt, die Via Regia, die in nur drei Kilometer Entfernung auch an Hochstedt vorüber führte. Zu den Handelswaren, die auf der Via Regia transportiert wurden, gehörte auch Waid, aus dem der blaue Farbstoff für die Tuchfärber gewonnen wurde. Die Zunft der Färber war insbesondere auch in der Lausitz, also in der Gegend um Görlitz zu Hause.

 

An der Hochstedter Bushaltestelle und Abfahrt des Busses

Aber zunächst mehr zum Reiseverlauf: Wir trafen uns frühzeitig, nämlich schon um 6.00 Uhr, denn die Fahrt würde etwas länger dauern. Es war geplant, gegen 10.00 Uhr in Görlitz einzutreffen. Dort würde uns eben jene Stadtführerin erwarten, Frau Ott, die unsere Waidballen im Vorjahr erhalten hatte. Pünktlich zur vereinbarten Zeit rollte der Bus von Becker-Reisen in Hochstedt an Bushaltestelle heran und wir stiegen ein. Insgesamt hatten sich sechsundzwanzig reisefibrige Hochstedter, Vieselbacher und Erfurter angemeldet, um mit nach Görlitz zu fahren. Es ging über die A7 immer in östliche Richtung. Dabei konnten wir noch von Glück reden, dass es nicht wie am Vortag regnete; hier und da zeigte sich sogar blauer Himmel. Aber wir hatten diesbezüglich bis jetzt ja immer ein bisschen Glück gehabt. (klopf auf Holz)

Kaffeepause
Geruhsame Busfahrt

Eineinhalb Stunden später legten wir eine erste Pause ein, wo es einen Kaffe oder Cappuccino, serviert vom Busfahrer, gab. Manche suchten auch die stillen Örtchen auf, um dann wieder mit der Konsumierung von diversen Getränken und deren Verdauung von vorn zu beginnen. Gegen 8.00 Uhr machten wir uns wieder auf den Weg. Der Kaffe-Konsum während der  Pause verursachte später eine nochmalige Unterbrechung der Fahrt, denn es mussten erneut stille Örtchen aufgesucht werden.

 



Etwas mehr als eine halbe Stunde Fahrt verging dann, bis wir den vereinbarten Treffpunkt in Görlitz erreichten, wo Frau Ott vom Reisedienst „Gaffkopf – Touren für Neugierige“ in den Bus zustieg. Sie begrüßte ihre Gaste, also uns, in Görlitz und lobte unsere Pünktlichkeit, denn immerhin waren wir mit unseren zurückgelegten 310 Kilometern nur um zwei bis drei Minuten zu spät angekommen. Der Treffpunkt lag günstig, am Rande der Innenstadt, direkt am Kaisertrutz, einer Befestigungsanlage, die ihren Namen im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs erhielt. Als die Schweden, die Stadt bereits im Griff hatten, konnten sie aus der Befestigung der Belagerung der kaiserlichen Truppen trotzten.

 

Frau Ott stieg am Kaisertrutz zu
Der Brunnen mit der sogenannten Muschelminna auf dem Postplatz
Jugendstilgebäude am Postplatz Gründerzeitfassaden
Oberer Markt Kaisertrutz

Frau Ott einigte sich mit dem Busfahrer auf eine kurze Fahrt durch das interessante Gründerzeitviertel, welches zu Fuß nur mit einigem Zeitaufwand zu erreichen war. Wir durchquerten Straßenzüge mit reich verzierten Häusern auf beiden Seiten. Görlitz hatte im 19. Jahrhundert von der Industrialisierung und der günstigen Verkehrslage profitiert. Es entstand damals eine Stadt mit breiten Prachtstraßen und vielen monumentalen Gebäuden. Hier reihten sich Häuser mit dekorativen Ornamenten aneinander und überboten sich mit reichem Schmuck, mit Balkonen und in ihrer Farbigkeit.

 


 

Frau Ott gab uns einen Überblick über geschichtliche sowie städtebauliche Höhepunkte der Stadt und nach zwanzig Minuten standen wir wieder am Kaisertrutz, wo wir den Bus verließen.

Ende der Rundfahrt und Beginn der Stadtführung

Standort vor dem Kaisertrutz mit Blick zum Reichenbacher Turm

Vor uns ragte der Reichenbacher Turm auf, der ebenfalls zur Stadtbefestigung gehörte und für uns den Beginn der Stadtführung bedeutete. An seiner Fassade sind Wappen angebracht, die für Görlitz geschichtlich bedeutsam waren. Durch einen Torbogen im Turm erreichten wir den dahinter liegenden Obermarkt, den wir zuvor mit dem Bus zum Teil umrundet hatten, mit seinen schmucken Häuserfassaden. Er war Bestandteil der Via Regia und seine Ausdehnung zeugt von der Bedeutung dieses einstigen Handelsplatzes.Von hier gelangten wir nach wenigen Schritten zum Frauenturm, einem mächtigen runden Gebäude mit fünf Meter dicken Grundmauern.

Frauenturm mit Relief

An der Fassade befindet sich ein Relief mit dem Stadtwappen von Görlitz, das einen doppelschwänzigen, böhmischen Löwen und den Reichsadler zeigt. Beide Wappentiere halten die Kaiserkrone in ihrer Mitte. Gerahmt wird das Wappen von spätgotischen Verzierungen und den Heiligenfiguren der Maria mit dem Kind sowie der Barbara, mit dem Turm als Schutzpatronin der Stadt. Von dort ging es wieder zurück zum Oberen Markt, wo uns, in der Eingangshalle eines der dort stehenden Häuser, Frau Ott die ungewöhnlichen Görlitzer Hallenhäuser erklärte, die man nur hier antrifft. Kennzeichnend für den Bautyp sind die großen Hallen, die das Haus in verschiedene Zonen und Bereiche unterteilen. Hier wurde gehandelt und mit der großzügigen Bauweise gezeigt und demonstriert, was man hat. Die meisten dieser Häuser entstanden im 14. und 15. Jahrhundert.

Hallenhaus
Napoleonhaus Schlesisches Museum

Von dort ging es vorbei an der prächtigen Häuserfassade des Napoleonhauses. Hier soll nicht nur Napoleon genächtigt haben, sondern auch Zar Alexander I. und vorher schon August der Starke. Am östlichen Ende des Oberen Marktes, gegenüber der Rathaustreppe (leider eingerüstet), befindet sich das Schlesische Museum, in welchem wir uns in der Eingangshalle umsahen (und aufwärmten). Schon die Fassade in Rot-Orange und Dunkelgrau war beeindruckend, wie auch die große Halle, in der wir nun standen.

 


 

Das Haus zählt nicht nur zu den bedeutendsten Bauten der Stadt, sondern auch zu den ersten bürgerlichen Renaissancebauten nördlich der Alpen.

Im Schlesischen Museum Untermarkt
Untermarkt und Flüsterbogen
Astronomische Sonnenuhren am Untermarkt

Von hier gelangten wir zum Untermarkt. Auch hier beeindruckten die farbigen und verzierten Fassaden. Der Flüsterbogen, das Portal eines der Bauten musste selbstverständlich ausprobiert werden. Während man auf der einen Seite flüsterte konnte man auf der anderen Seite des Bogens alles hören. Das Haus daneben beeindruckte mit seinen astronomischen Sonnenuhren. Frau Ott zeigte uns Bilder, wie Görlitz vor 1989 ausgesehen hatte, wie verfallen und grau alles aussah. Man wollte sogar große Teile der historischen Stadt abreißen, um Platz für Plattenbauten zu schaffen. Die politische Wende war für Görlitz eine glückliche Fügung, die Häuser wurden restauriert und strahlen nun größtenteils in altem Glanz. Seit einigen Jahren dient Görlitz sogar als Kulisse für Filmproduktionen - auch aus Hollywood.

Auf dem Weg zum Waidhaus
 
Waidhaus Im Waidhaus
Blick vom Waidhaus auf die Neiße

Vom Untermarkt gelangten wir zur Stadtkirche St. Peter und Paul, die wir jedoch zunächst erst nur von außen bestaunten. Unser nächstes Ziel stand nämlich gleich daneben: Das Görlitzer Waidhaus. Es ist das älteste profane Gebäude der Stadt und gehörte ursprünglich zur Burganlage. Seit 1529 war das Haus ein Speicher für Waid. Das Stapelrecht für Waid erhielt Görlitz 1331, was anhand einer Urkunde, die König Johann  von Böhmen am 21. Mai dieses Jahres in Prag ausgestellt hatte.
Wir besichtigten das Haus ganz kurz von innen und stiegen dabei die Treppen hinauf bis fast unter das Dach. Heute beherbergt es die Werkstätten des Fortbildungszentrums für Handwerk und Denkmalpflege.

 

 


 


Wir verließen das Waidhaus und sahen uns noch den kleinen, unmittelbar angrenzenden Garten mit Färberpflanzen und Kräutern an, wo auch Waid zu sehen war.

Im Kräutergarten am Waidhaus (im Vordergrund: Waidpflanze) Vor der Peterskirche
Sonnenorgel Altar

Unsere vorerst letzte Etappe mit Frau Ott in Görlitz war eigentlich schon erreicht: Die mächtige Peterskirche auf der anderen Seite des kleinen Platzes. Wir betraten die fünfschiffige Kirche die ab dem 13. erbaut worden war über eine Treppe. Die Bauzeit hatte sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit der Fertigstellung der Türme hingezogen. Die Kirche ist mit einer Länge von 72 Metern und einer Breite von 39 Metern die größte spätgotische Hallenkirche Sachsens. Frau Ott wies uns auf die überaus prächtige Sonnenorgel hin, deren Name sich von den strahlenförmig angeordneten Orgelpfeifen am Prospekt herleitet. In ihrer Art stellt sie damit ein einzigartiges Musikinstrument dar. Frau Ott meinte aber, dass Bach damals nicht sonderlich vom Klang der Orgel beeindruckt war. Heute klingt das Instrument jedoch anders, da die Orgel in den 1990er Jahren ein neues Innenleben bekommen hatte.

Barocker Beichtstuhl Kurz die Beine baumeln lassen
Gruppenbild am Waidhaus

Beachtenswert waren auch die evangelischen Beichtstühle, die barocke Pracht verkörperten, wie auch der Altar. Von der Peterskirche gingen wir hinunter zur träge dahinfließenden Neiße. Dort machten wir noch ein Gruppenbild mit dem Waidhaus im Hintergrund, bevor wir deutschen Boden verließen, denn über die Neiße hatte man eine Brücke gebaut, die Görlitz mit dem polnischen Zgorzelec verbindet. Von der Mitte der Brücke aus, hatte man einen herrlichen Blick auf die Altstadt mit Peterskirche und Waidhaus. Auf dem Asphalt der Brücke war eine gebogene gelbe Linie aufgemalt, die, wie Frau Ott erzählte, den 15. Meridian (östliche Länge) markieren soll, der hier mitten durch die Stadt geht.

Auf der Neißebrücke

Inzwischen war es 12.30 Uhr und Zeit für die individuelle zweistündige Pause. Die Gruppe trennte sich, um entweder unserem Nachbarland einen Besuch abzustatten, um zu essen oder sich noch etwas anzusehen.

 


 

In Görlitz gab es noch jede Menge weiterer bemerkenswerter Bauwerke, die man sich durchaus ansehen konnte. So etwa das auf dem Weg zurück zur Innenstadt gelegene Biblische Haus, mit dem Gaffkopf über dem Portal, der der Stadtführer-Firma von Frau Ott den Namen gegeben hatte. Das Haus war von einem reichen Waidhändler aus Weimar, Hans Heintze, errichtet worden und mit Reliefszenen des Alten und Neuen Testaments geschmückt worden.

Gaffkopf am Biblischen Haus Neptunbrunnen am Untermarkt
Drteifaltigkeitskirche am Oberen Markt
Orgel Altar der Goldenen Maria

Auch die Dreifaltigkeitskirche – eine ehemalige Klosterkirche der Franziskaner – beeindruckte nicht nur durch ihre ungewöhnliche Bauweise, sondern auch mit dem Altar der „Goldenen Maria“.

Zurück am Bus und Fahrt durch die Heilige-Grab-Straße

Pünktlich um 14.30 Uhr trafen alle wieder am Kaisertrutz ein, wo schon der Bus auf uns wartete. Frau Ott stieg ebenfalls ein, denn die zweite Etappe der Fahrt sollte uns nach Königshain führen, wo Frau Ott eine Besichtigung des Gartens im dortigen Schlossareal für uns arrangiert hatte. Zuvor machten wir jedoch noch einen Zwischenstopp am Heiligen Grab.

 


 

Dabei handelt es sich wohl um den ältesten symbolischen Garten Europas aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich um die Nachbildung der heiligen Stätten in Jerusalem, die zusammen mit den dortigen landschaftlichen  Gegebenheiten kopiert worden waren. So stellt die Landschaft mit den Anhöhen nördlich der Grabeskapelle den Ölberg mit dem Garten Gethsemane dar, mit Gebetsstätte und der Jüngerwiese. Der Wasserlauf symbolisiert das Tal des Baches Kidron. Die Straßen der Stadt von der Krypta der Peterskirche bis zur Anlage bilden den Kreuzweg mit verschiedenen Stationen der Rast.

Heiliges Grab - Grabkapelle
Grabkapelle Golgathakapelle

Nach einige Fotos fuhren wir weiter nach Königshain, wo wir nur etwa fünfzehn Minuten später eintrafen.

Weg zum Schlosskomplex Ankunft in Königshain
Schloss Unterwegs auf dem Gelände
Bauerngarten und Romantisches Gärtchen direkt am Schloss
Kräutergarten des Verein hortus amabilis e.V.

Vor dem Schlosstor wurde der Bus geparkt und wir folgten Frau Ott zum Garten, den der Verein hortus amabilis e.V. (heißt soviel wie „der liebenswerte Garten“) angelegt hatte.

 


 

Hier gab es historische Nutz- und Heilpflanzen zu sehen, aber auch solche, die zum Färben genutzt wurden, wie Waid, Saflor, Knöterich und Krapp. Dr. Sander, der Vereinsvorsitzende, und eine weitere Frau vom Verein begrüßten uns und erklärten die einzelnen Teile des Gartens. Dabei wurde gerochen, geschmeckt, gefühlt und gestaunt.

Waid und viele andere Pflanzen im Kräutergarten des Verein hortus amabilis e.V.
Dr. Sander und Frau Ott

Dr. Sander gab uns nicht nur Mariengras  - eine Heilpflanze –nach Hochstedt mit, sondern auch noch eine Färberknöterich-Pflanze. Anschließend fanden wir uns alle im Schlosskaffee ein, wo heißer Kaffee und frischer Kuchen auf uns warteten. Nach einigen anregenden Gesprächen und Fachsimpeleien über diverse Färbepflanzen mussten wir langsam an den Aufbruch denken. Zuvor besuchten wir aber noch das kleine Apothekermuseum und den am Schlosseingang angelegten Rhododendrongarten.

Weg zum Renaissanceschloss Kaffee im Renaissanceschloss

Hier am Ende unseres Ausfluges nach Görlitz und Königshain verabschiedeten wir uns von Frau Ott und den Vereinsmitgliedern von hortus amabilis e.V.

Im Apothekermuseum
Rhododendrongarten


Pünktlich um 16.30 Uhr schlossen sich die Türen des Busses und wir begannen mit der Rückfahrt nach Hochstedt. Zwei Stunden später machten wir wieder eine kleine Pause (um den Kaffee zum stillen Örtchen zu bringen), bevor das letzte Stück der Reise in angriff genommen wurde. Wir erreichten Hochstedt wenige Minuten vor 20.00 Uhr. Sogar jetzt schien noch die Sonne und erinnerte uns daran, dass der Tag zwar recht kühl, jedoch meistens sonnig verlaufen war.

Rückfahrt und Ankunft in Hochstedt

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